Strafverfahren wegen Behandlungsfehlern liegt zumeist der Verdacht einer fahrlässigen Körperverletzung zugrunde, denn Ärzte wollen ihren Patienten in aller Regel helfen und nicht deren Gesundheit schädigen. Anders ist dies, wenn der Arzt den Patienten nicht hinreichend aufgeklärt hat und ihm dieser Aufklärungsmangel bei der Durchführung des Eingriffs bewusst ist. Der strafrechtliche Vorwurf verschärft sich dann allerdings nicht bloß zur vorsätzlichen einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB): Die verwendeten Instrumente (Skalpell, Zange, Schere, Nadeln etc.) können juristisch „gefährliche Werkzeuge“ darstellen, wodurch der Eingriff zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) qualifiziert wird. Diese wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
Diese Bewertung ärztlicher Instrumente stand im Vordergrund des Beschlusses des BayObLG vom 19.3.2024 (205 StRR 8/24): Das LG Kempten hatte einen Augenarzt u.a. in mehreren Fällen wegen vorsätzlicher (einfacher) Körperverletzung verurteilt. Der Arzt hatte Katarakt-OPs durchgeführt, ohne seine Patienten darüber aufzuklären, dass er wegen körperlicher Einschränkungen, die aus einem Unfall herrührten, zur fachgerechten Operation nicht mehr in der Lage war. Die hiergegen gerichtete Revision des Arztes blieb erfolglos. Allerdings hob das BayObLG das Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin auf: U.a. hatte der Augenarzt bei seinen Patienten mit einem Skalpell einen Schnitt an der Hornhaut vorgenommen und mittels Ultraschalls die vorhandene Linse entfernt, um eine neue Linse einsetzen zu können.
Das Skalpell bewertete das BayObLG im konkreten Fall als gefährliches Werkzeug. Zwar sei grundsätzlich davon auszugehen, dass der Arzt das Skalpell kunstgerecht einsetze. Der in Rede stehende Augenarzt sei zum ordnungsgemäßen und fachgerechten Gebrauch aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen jedoch nicht mehr in der Lage gewesen. Das BayObLG änderte daher den Schuldspruch und verurteilte den Arzt wegen gefährlicher Körperverletzung.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Begründung des BayObLG: Indem das Gericht auf die Fähigkeit des Augenarztes zur kunstgerechten Verwendung des Skalpells abstellt, setzt es sich vom OLG Karlsruhe (Beschl. v. 16.3.2022 – 1 Ws 47/22) ab. Nach dem OLG Karlsruhe soll es bei der Einordnung ärztlicher Instrumente als gefährliche Werkzeuge keine Rolle spielen, ob der Arzt zu deren regelgerechter Anwendung grundsätzlich in der Lage war und sie auch regelgerecht angewandt hat.
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