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Aktuelles Aktuelles Medizinstrafrecht   

Verdachtsberichterstattung im Medizinstrafrecht

   
15. Januar 2024

"Betrugsverdacht bei Brust-OPs in Q.: Was wusste die Klinikleitung?“

So titelte ein Online-Medium über ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bochum, das sich gegen den Chefarzt einer Klinik richtete. Die Staatsanwaltschaft warf ihm die Beteiligung an Fällen vor, in denen Schönheitsoperationen mit anderen Eingriffen kombiniert worden sein sollen, die dann wiederum bei den Krankenkassen abgerechnet wurden. Die Identität des Chefarztes wurde bei der Berichterstattung offengelegt.

An die Zulässigkeit einer solchen identifizierenden Verdachtsberichterstattung werden strenge Anforderungen gestellt. Sie setzt voraus, dass

  1. ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den Wahrheitsgehalt der Information spricht,
  2. dem Betroffenen vor der Veröffentlichung die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den konkreten Vorwürfen eingeräumt wurde,
  3. die Berichterstattung nicht den Eindruck erweckt, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt und
  4. die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das öffentliche Informationsinteresse nicht überwiegen.

Gegen die ihn betreffende Berichterstattung wehrte sich der Chefarzt vor dem LG Köln zunächst mit Erfolg. Das stattgebende Urteil hob das OLG Köln (Urt. v. 27.4.2023 - 15 U 143/22) aber in der Berufung auf: Wegen der Unschuldsvermutung überwiege bis zum Schuldspruch zwar oftmals das Recht des Betroffenen auf Persönlichkeitsschutz das Interesse an einer identifizierenden Wortberichterstattung. Im konkreten Fall sei das Interesse des Chefarztes allerdings nicht gewichtiger als das Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit. Das OLG würdigte dabei u.a., dass der Vorwurf den Bereich der mittleren Kriminalität betraf und ein hohes öffentliches Interesse nicht nur an der eigentlichen Gesundheitsfürsorge in Form der Behandlung erkrankter Patienten, sondern auch der sich anschließenden Abrechnung und Verwendung öffentlicher Mittel bestehe. Besonders ins Gewicht fiel auch die herausgehobene Stellung des Klägers als Chefarzt, der gewissermaßen das „Gesicht“ seiner Abteilung gewesen sei.

Die mediale Begleitung medizinstrafrechtlicher Ermittlungsverfahren ist keine Seltenheit. Das Interesse der Medien ist besonders groß, wenn sich der Vorwurf auf eine Vielzahl an Fälle erstreckt oder gar der Verdacht eines systematischen Vorgehens besteht. Für die betroffenen Ärzte birgt dies existenzielle Gefahren, da hierdurch das Vertrauen ihrer Patienten – also ihre berufliche Grundlage – in sie erschüttert oder zerstört werden kann.

Deswegen ist es bei der Verteidigung im Medizinstrafrecht besonders wichtig, nicht nur die juristischen Stakeholder, sondern ebenso den Umgang mit den Medien im Griff zu haben. Um die Rechte ihrer Mandanten in dieser bedrohlichen Lage effektiv zu schützen, arbeiten wir mit Spezialisten, wie Kommunikationsberatern zusammen.


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