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Straflose Tötung auf Verlangen?

   
30. September 2022

Der Bundestag ist derzeit mit der Neuregelung der (geschäftsmäßigen) Suizidhilfe befasst. Der wohl aussichtsreichste der drei vorliegenden Gesetzesentwürfe verfolgt einen strafrechtlichen Ansatz: Der seitens des BVerfG für verfassungswidrig befundene § 217 Abs. 1 StGB a.F. soll reaktiviert und um eine Ausnahmeregelung ergänzt werden. Eine Änderung des Straftatbestands der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) ist hierin nicht vorgesehen. Ein Beschluss des 6. Strafsenats des BGH (28.6.2022 – 6 StR 68/21) legt indes auch diesbezüglichen Reformbedarf nahe:

Die Angeklagte hatte ihrem Ehemann, nachdem dieser in Sterbeabsicht selbständig einen Medikamenten-Cocktail zu sich genommen hatte, auf dessen Wunsch zusätzlich mehrere Insulinspritzen injiziert, um den Todeseintritt sicherzustellen. Hiernach blieb der Ehemann noch einige Zeit bei Bewusstsein, sah aber freiverantwortlich davon ab, Maßnahmen zu seiner Rettung zu ergreifen. Später starb er an einer durch das Insulin ausgelösten Unterzuckerung. Das LG Stendal verurteilte die Angeklagte wegen Tötung auf Verlangen zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr.

Der 6. Strafsenat hob dieses Urteil auf und sprach die Angeklagte frei: Nicht sie, sondern ihr Ehemann habe nach normativer Betrachtung das zum Tode führenden Geschehen beherrscht. Die Spritzeninjektion sei daher nicht als strafbare Tötung auf Verlangen, sondern als straflose Beihilfe zum Suizid zu bewerten. Maßgeblich hierfür sei, dass es nach dem Gesamtplan vom Zufall abgehangen habe, welche konkrete Ursache – Medikamenten-Cocktail oder Insulininjektion – zum Todeseintritt führen würde. Außerdem habe der Ehemann die Möglichkeit gehabt, sich nach der Spritzeninjektion noch selbst zu retten. Hiervon habe er aber freiverantwortlich abgesehen. Ebenso wenig könne der Angeklagten vorgeworfen werden, ihren Ehemann nicht gerettet zu haben, nachdem dieser bewusstlos geworden war. Ihre Garantenstellung als Ehefrau sei in dieser Situation wegen des freiverantwortlichen Sterbewunsches ihres Mannes aufgehoben gewesen.

Der 6. Strafsenat hat den Anwendungsbereich des § 216 Abs. 1 StGB hiermit stark reduziert. Darüber hinaus hat der Senat zu erkennen gegeben, dass er § 216 Abs. 1 StGB noch weiter einschränken will: Aktive Tötungshandlungen des Helfers sollen nicht strafbar sein, wenn der Sterbewillige seinen Sterbewunsch nicht selbst umsetzen kann, sondern auf die Hilfe Dritter angewiesen ist. Dies gebiete das vom BVerfG anerkannte Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Diese Ausführungen, die zur Entscheidung des dem Senat vorliegenden Falls nicht erforderlich waren, dürften als Signal an den Gesetzgeber zu verstehen sein, § 216 Abs. 1 StGB zu überarbeiten. Hierbei könnte auch ein Verfahren etabliert werden, um die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses rechtssicher festzustellen.

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