+49 221 33 77 23-0
Aktuelles Aktuelles Medizinstrafrecht   

Strafbarkeit von Ärzten bei Arbeitsteilung

   
16. Oktober 2023

Wird infolge einer arbeitsteilig durchgeführten medizinischen Behandlung ein Patient körperlich geschädigt, stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der einzelnen Beteiligten. Bspw. kann der ambulant in den eigenen Räumen operierende Arzt Organisationsverantwortlicher und für die postoperative Überwachung des Patienten sowie die Aufklärung über die postoperativen Risiken neben dem Anästhesisten zuständig sein. Dies zeigt der Beschluss des BVerfG vom 23.3.2020 (2 BvR 1615/16) eindringlich. Gegenstand des Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde gegen zwei Beschlüsse des Hanseatischen OLG.

Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: In der vom ihm geführten Praxis nahm ein HNO-Arzt ambulant einen operativen Eingriff bei einem Kind durch. An dem Eingriff wirkte eine externe Anästhesistin mit. In der Praxis wurde ein Aufwachraum betrieben, der nicht mit einem Pulsoxymeter ausgestattet war und daher nicht dem medizinischen Standard entsprach. Die Sauerstoffsättigung konnte nicht kontinuierlich überwacht werden. Infolgedessen wurde der bei dem operierten Kind eingetretene Atemstillstand zu spät bemerkt und das Kind verstarb.

Das OLG sah lediglich eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Anästhesistin. Eine Strafbarkeit des Operateurs lehnte es ab, weil er keine Verantwortung hinsichtlich der Aufklärung und hinsichtlich der unzureichenden postoperativen Überwachung hätte. Diese hätten nach der horizontalen Arbeitsteilung der Anästhesistin oblegen.

Das BVerfG hob den gegenständlichen Beschluss des OLG auf: Bei der Bewertung von arbeitsteiligem Zusammenwirken müsse sich das Gericht damit auseinandersetzen, ob Art und Schwere des beabsichtigten Eingriffs unter Berücksichtigung des Zustandes des Patienten und die vorhandene räumliche, apparative und personelle Infrastruktur eine ambulante Eingriffsdurchführung erlauben. Zwar gilt für die ärztliche Arbeitsteilung grundsätzlich der sog. Vertrauensgrundsatz, wonach man sich grundsätzlich wechselseitig auf die ordnungsgemäße Tätigkeitsausübung verlassen dürfe. Es wäre jedoch kaum mit dem Verbot, den Patienten im Rahmen der Behandlung zum bloßen Objekt zu degradieren, vereinbar, wenn der Betreiber der Praxis als der wesentlich wirtschaftlich Begünstigte der mangelhaften Praxisausstattung keine Aufklärungspflicht über das Risiko der unzureichenden Ausstattung und keine postoperativen Überwachungspflichten gegenüber dem Patienten hätte.

Die Entscheidung des BVerfG führt vor Augen, dass bei arbeitsteiligem Zusammenwirken, vor allem bei horizontaler Arbeitsteilung, im Einzelfall genau geprüft werden muss, welche Aufgaben und Pflichten dem einzelnen obliegen.

Wir beraten Sie hierzu gerne.


Kontaktieren Sie uns:

Prof. Dr. Michael Tsambikakis Prof. Dr. Michael Tsambikakis  Daniela Etterer, MHMM Daniela Etterer MHMM Dr. Karolina Kessler Dr. Karolina Kessler Dr. Daphne Petry, LL.M. (Canterbury) Dr. Daphne Petry, LL.M. (Canterbury) Dr. Markus Gierok Dr. Markus Gierok  Britta Alexandra Michel Britta Alexandra Michel