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Sorgenkind Sterbehilfe

   
2. Mai 2024

Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe seit der 2020 hierzu ergangenen Entscheidung des BVerfG sorgt wieder für Aufsehen: Das Landgericht Berlin I hat jüngst einen Arzt, der einer Studentin Sterbehilfe geleistet hatte, wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt (LG Berlin I, Urt. v. 8.4.2024 – 540 Ks 2/23).

Der Arzt, der mit einer Sterbehilfeorganisation zusammenarbeitete, legte der an Despressionen leidenden Frau eine Infusion mit einer tödlichen Dosis eines Medikaments, welche diese anschließend selbst in Gang setzte.

Obwohl sich die Frau damit selbst tötete, habe der Arzt keine – straflose – Beihilfe zum Suizid begangen: Nach der Auffassung des Gerichts habe dem Sterbewillen der Frau die erforderliche Dauerhaftigkeit und Festigkeit gefehlt. So habe sich ihr Entschluss zu sterben noch am Morgen des Tattages innerhalb einer halben Stunde geändert. Ihren schwankenden Entschluss habe die Frau dem Arzt auch per Nachricht mitgeteilt. Demgegenüber sei es unerheblich, dass die Frau nach den Angaben des Arztes bislang in nahezu allen sonstigen Nachrichten zum Suizid entschlossen war. Auch eine im letzten Moment widersprechende Äußerung könne entscheidend sein, sodass der Arzt den Entschluss kritischer hätte prüfen müssen. Schon wegen ihrer Depressionen sei der Frau keine freie Entscheidung möglich gewesen. Der Arzt habe die Frau daher als „Werkzeug“ gegen sich selbst eingesetzt.

Nach welchen Kriterien der Arzt den Sterbewillen hätte prüfen müssen, ist aber fraglich. Wann eine Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches vorliegt, ist ungeklärt. Das BVerfG hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe nach § 217 StGB im Jahr 2020 für nichtig erklärt, sodass es seitdem an einer gesetzlichen Regelung fehlt. Nach den Ausführungen des BVerfG steht zwar fest, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschließlich eines Rechts auf Selbsttötung gibt. Davon sei auch die Freiheit umfasst, die Hilfe Dritter, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Im Bereich der Sterbehilfe besteht aber nunmehr ein rechtliches Vakuum und damit große rechtliche Ungewissheit. Sterbehelferinnen und -helfer sind gezwungen, anhand eigener Kriterien zu entscheiden, ob sie einen Sterbewunsch für frei und autonom halten. Dies birgt aber - wie diese aktuelle Entscheidung zeigt - ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko.

Angesichts der anhaltenden Ungewissheit ist der Gesetzgeber gefragt, die Anforderungen an die Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Bislang konnte im Parlament trotz vieler Vorschläge noch keine Einigung über eine entsprechende gesetzliche Regelung erzielt werden (vgl. hierzu den Beitrag „Update zur Neuregelung der Suizidhilfe“ vom 28. Juni 2023).

Bei Fragen zum Thema Sterbehilfe stehen wir Ihnen die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gerne zur Verfügung.


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Weitere Informationen:
Update zur Neuregelung der Suizidhilfe v. 28.6.2023