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Aktuelles Aktuelles Medizinstrafrecht   

Fälschung digitaler Impfzertifikate

   
14. Mai 2024

Mitte 2021 reagierte der Gesetzgeber auf die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). In diesem Zuge schuf er mit § 75a Abs. 1 IfSG einen neuen Straftatbestand, um u.a. die unrichtige Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung (digitales Impfzertifikat) zu sanktionieren. Bislang ging die weit überwiegende Ansicht im strafrechtlichen Schrifttum davon aus, dass dieser Straftatbestand ein sog. Sonderdelikt sei, das lediglich durch Ärzte und Apotheker verwirklicht werden konnte. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) ist dem jüngst entgegengetreten: § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG a.F. (heute: § 75a Abs. 1 Nr. 2 IfSG) könne durch jedermann verwirklicht werden und sei daher ein Allgemeindelikt (Beschl. v. 18.10.2023 – 1 StR 146/23).

Im konkreten Fall hatten die beiden Angeklagten mehr als 1.000 falsche digitale Impfzertifikate über das Darknet verkauft. Für deren Ausstellung bedienten sie sich der Rechner der Apotheke, in der eine der beiden Angeklagten als pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) arbeitete. Das LG München verurteilte die beiden Angeklagten u.a. wegen gemeinschaftlicher unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung gemäß § 75a Abs. 1 IfSG (i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB). Einer der beiden Angeklagten legte gegen seine Verurteilung Revision ein, offenbar mit dem Argument, dass er weder Arzt noch Apotheker sei und deswegen den § 75a Abs. 1 IfSG nicht habe verwirklichen können.

Der BGH wies dieses Argument und damit die Revision zurück: Zwar könnte die Verweisung auf § 22 Abs. 5 S. 1 IfSG und die dort aufgeführten Ärzte und Apotheker darauf hindeuten, dass lediglich diese Täter sein können. Allerdings beschränke § 75a Abs. 1 IfSG den Täterkreis nicht, sondern beschreibe diesen offen mit „wer“. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber mit § 75a IfSG Strafbarkeitslücken schließen wollen. Er habe einen effektiven Rechtsgutschutz erstrebt, der sich nur durch eine Auslegung des § 75a IfSG erreichen lasse, die den möglichen Täterkreis nicht auf Ärzte und Apotheker beschränkt. Andernfalls würde der Regelungszweck des IfSG konterkariert.

Bei seiner stark ergebnisorientierten Argumentation verschweigt der BGH, dass § 75a Abs. 1 IfSG nicht schlicht auf § 22 Abs. 5 IfSG verweist, sondern einen Verstoß gegen diese Vorschrift verlangt („entgegen“). Ein solcher Verstoß ist aber ausschließlich den von § 22 Abs. 5 IfSG adressierten Ärzten und Apothekern möglich: Andere Personen, für die § 22 Abs. 5 IfSG nicht gilt, können diese Vorschrift nicht verletzen. Diese Wortlautgrenze verkennt der 1. Strafsenat bei seiner Auslegung und verletzt damit das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.

Bei Fragen zur Strafbarkeit der Fälschung von Impf- und Testdokumentationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


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