+49 221 33 77 23-0
Aktuelles Aktuelles Allgemeines   

Keine Beweislastumkehr bei Abrechnungsbetrug

   
15. September 2023

Das Landgericht Nürnberg-Fürth liefert weiterhin spannende Entscheidungen zum Wirtschaftsstrafrecht der Medizin. In seinem Beschluss vom 10.8.2023 (12 KLs 572 Js 178731/17) geht es erneut um Abrechnungsbetrug:

In ihrer Anklage hatte die Staatsanwaltschaft (ZKG) einer Hebamme vorgeworfen, gegenüber gesetzlichen Krankenkassen tatsächlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet und so einen Vermögensschaden i.H.v. rund 2,6 Mio. EUR verursacht zu haben. Diese Summe entsprach dem Betrag der von der Hebamme im mutmaßlichen Zeitraum insgesamt abgerechneten Leistungen. Hingegen summierten sich die tatsächlich nicht erbrachten, aber dennoch abgerechneten Leistungen auf rund 330.000 EUR.

Zwar ließ das Landgericht die Anklage zu, da hinsichtlich der nicht erbrachten, aber abgerechneten Leistungen der Verdacht des Abrechnungsbetrugs bestand. Das Gericht korrigierte aber die vermeintliche Schadenshöhe nach unten auf den Betrag der tatsächlich nicht erbrachten, aber dennoch abgerechneten Leistungen i.H.v. 330.000 EUR. Im Übrigen konnte das Gericht keinen belastbaren Beleg dafür sehen, dass weitere – und wenn ja, welche – Abrechnungen tatsächlich nicht leistungsunterfüttert waren.

Die aus dem Sozialrecht bekannte streng formale Betrachtungsweise führt nach dem Gericht ebenso wenig dazu, dass der in der Anklage zur Last gelegte Vermögensschaden i.H.v. 2,6 Mio. EUR zutrifft: Zwar entfalle die Garantiefunktion der vertragsärztlichen Abrechnungs-Sammelerklärung bereits dann, wenn diese nur eine einzige grob fahrlässig fehlerhaft abgerechnete Leistung enthält. Dies sei auch auf die Abrechnungen der Hebamme übertragbar. Allerdings führe der Wegfall der Garantiefunktion nicht dazu, dass dem Arzt bzw. der Hebamme überhaupt kein Anspruch auf Vergütung für die in dem Quartal erbrachten Leistungen zustehe. Für die tatsächlich ordnungsgemäß erbrachten Leistungen müsse das Honorar neu festgesetzt werden.

Das Landgericht hob für die strafrechtliche Bewertung hervor, dass sich beim Abrechnungsbetrug die Behauptung, eine Abrechnung sei komplett als betrügerisch zu werten, regelmäßig nur dann aufstellen lässt, wenn ein alle Abrechnungsposten umfassender (Formal-)Mangel vorliegt - von Fällen umfassender Abrechnung von Luftleistungen abgesehen. Das heißt: Die Hebamme musste nicht beweisen, dass sie ihre im Übrigen abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht hat. Vielmehr hätte die Staatsanwaltschaft hinreichende Anhaltspunkte dafür beibringen müssen, dass diese Leistungen tatsächlich nicht erbracht worden waren. Hiermit hat das Landgericht einer (faktischen) Beweislastumkehr einen Riegel vorgeschoben.

Für die Beratung und Verteidigung im Kontext des Abrechnungsbetrugs sowie bei allen weiteren Fragen im Medizinstrafrecht stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


Kontaktieren Sie uns:

Prof. Dr. Michael Tsambikakis Prof. Dr. Michael Tsambikakis  Daniela Etterer, MHMM Daniela Etterer MHMM Dr. Karolina Kessler Dr. Karolina Kessler Dr. Daphne Petry, LL.M. (Canterbury) Dr. Daphne Petry, LL.M. (Canterbury) Dr. Markus Gierok Dr. Markus Gierok  Britta Alexandra Michel Britta Alexandra Michel