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Tötungsvorsatz einer "falschen" Ärztin

   
2. August 2024

Unter welchen Voraussetzungen kann ein bedingter Tötungsvorsatz einer „falschen“ Ärztin angenommen werden? Mit dieser Frage hat sich der BGH detailliert in einer jüngeren Entscheidung vom 22.2.2024 (2 StR 468/22) befasst. Die Angeklagte hatte sich durch Vorlage einer gefälschten Approbationsurkunde und eines unrichtigen Lebenslaufs eine Anstellung als Assistenzärztin in einer Klinik erschlichen. Ein Medizinstudium hatte sie nie erfolgreich abgeschlossen. Über drei Jahre hinweg unterliefen ihr bei Operationen, bei denen sie als Narkoseärztin eingesetzt worden war, Fehler bei der Narkose. Infolge der fehlerhaften Behandlungen kam es in vielen Fällen zum Tod des Patienten.

Der BGH hat in diesem Zusammenhang nochmals die hohen Anforderungen an die tatrichterliche Prüfung des Vorsatzes ins Blickfeld gerückt: Insbesondere bei Körperverletzungs- und Tötungsdelikten ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich. Dazu gehört u.a. die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Täters, seiner psychischen Verfassung bei Tatbegehung, seiner Motivation und den für das Tatgeschehen bedeutsamen Umständen.

So hatte das LG nach Ansicht des BGH außer Acht gelassen, dass sich die objektive Befundlage bei Durchführung der Narkosen zu einem frühen Tatzeitpunkt von derjenigen bei später durchgeführten Narkosen unterscheidet. Dies betraf die Fähigkeiten der Angeklagten sowie ihre Erfahrungen, die sie im Lauf der Zeit mit den Folgen ihrer Behandlungen gemacht hatte. Deren möglicher Einfluss auf die Bewertung der subjektiven Tatseite hätte das LG erörtern müssen.

Zudem betonte der BGH, dass auch vorsatzkritische Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen seien. Der Vorsatz der Angeklagten kann etwa durch das mit den Erfahrungen wachsende subjektive Zutrauen der Angeklagten in die eigenen Fähigkeiten beeinflusst worden sein. Zudem hätte das LG einpreisen müssen, dass die Angeklagte in einigen Fällen kritische Situationen wahrgenommen und Hilfe durch einen Facharzt herbeigeholt hat. In den Fällen, in denen sie keinen Facharzt hinzugezogen hat, sei noch zu überlegen gewesen, ob dies auf einer Fehleinschätzung der Situation beruht habe, die den Tötungsvorsatz ausschließt.

Ferner seien nach dem BGH noch Ausführungen zum Einfluss der festgestellten Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten auf den Tötungsvorsatz erforderlich gewesen. Das LG hatte die Angeklagte einerseits als narzisstische Person mit einem extremen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bewunderung und andererseits als sehr häufig unsichere und häufig zitternde Assistenzärztin beschrieben.

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, welche teils schwierigen Fragen sich bei der Bewertung des Tötungsvorsatzes ergeben und mit welchen Aspekten sich das Tatgericht vertieft auseinandersetzen muss. Bei allen Fragen des Medizinstrafrechts stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


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