Die Ermittlung des Vermögensschadens im Rahmen eines Abrechnungsbetrugs erfolgt nach der Rechtsprechung anhand einer streng formalen Betrachtungsweise. Zuletzt bestätigte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 5.5.2021 (2 BvR 2023/20, 2 BvR 2041/20) – kritikwürdig – die Maßgabe, dass ein Verstoß gegen sozialrechtliche Vorgaben den Wegfall des Vergütungsanspruchs des Leistungserbringers zur Folge hat. Leistet der Kostenträger dennoch die Vergütung, entsteht ihm danach ein Vermögensschaden. Die ordnungsgemäß erbrachte Behandlung bleibt dabei als mögliche Gegenleistung unberücksichtigt; mangels Vergütungsanspruchs wird der Kostenträger von einem solchen durch die Vergütungsleistung nicht frei. Der Weg von einem sozialrechtlichen Verstoß zu einer Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB ist auf dieser Basis nicht weit.
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 12.8.2021 (B 3 KR 8/20 R) den Grundsatz des zwingenden Wegfalls des Vergütungsanspruchs aufgebrochen: Trotz Verstoßes gegen die Pflicht zur Abgabe einer Versorgungsanzeige bleibt der Vergütungsanspruch eines Hörgeräteakustikers für eine ansonsten ordnungsgemäße Leistung bestehen, soweit die Versorgung genehmigungsfrei war. Ein Vergütungsanspruch setzt die Versorgung eines Versicherten gemäß dem „Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen“ voraus. Dieser regelt für bestimmte Versicherte bereits die Leistungsvoraussetzungen sowie den Leistungsumfang und sieht für diese daher kein Kostenvoranschlags-, sondern ein Anzeigeverfahren vor. Die Abgabe einer solchen Anzeige unterblieb im zugrunde liegenden Sachverhalt, sodass die Versorgung grundsätzlich nicht in rahmenvertragsgemäßer Weise erfolgte.
Das Gericht kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass dieser Pflichtverstoß den Vergütungsanspruch nicht entfallen lässt. Denn im Unterschied zum Kostenvoranschlag soll die Versorgungsanzeige lediglich eine partielle Vorabprüfung der Versorgungsvoraussetzungen ermöglichen. Eine Genehmigung der Versorgung ist aber gerade nicht vorgesehen. Die Versorgungsanzeige dient somit nicht der Steuerung des Versorgungsgeschehens; ein Entscheidungsvorrang der Ersatzkasse wird durch die unterbliebene Anzeige nicht unterlaufen. Vor diesem Hintergrund kann der Wegfall des Vergütungsanspruchs bei ansonsten ordnungsgemäß erbrachter Leistung nicht gerechtfertigt werden.
Für einen Abrechnungsbetrug bedeutete dies, dass der Ersatzkasse unmittelbar durch ihre Zahlung die Befreiung von der Verbindlichkeit ihrer Vergütungspflicht zufließt. Es liegt folglich kein Vermögensschaden vor.
Das Urteil macht Hoffnungen auf eine Einschränkung der streng formalen Betrachtungsweise, so dass jedenfalls nicht ausnahmslos alle Fälle sozialrechtswidrig erbrachter Leistungen automatisch einen Vermögensschaden begründen. Insbesondere im Strafrecht erscheint dies angesichts des Wesens des Betrugstatbestandes als Vermögensdelikt sachgerecht und würde den wirtschaftlichen Wert einer ordnungsgemäßen Behandlung angemessen berücksichtigen.
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