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Triage-Entscheidungen in der aktuellen Omikron-Welle

   
2. Februar 2022

Bund- und Länderregierungen bemühen sich, die Belastungen durch die anhaltende Pandemie mit geeigneten Maßnahmen in einem Rahmen zu halten, in dem die Stabilität des Gesundheitssystems gewährleistet ist. Seit der zweiten Kalenderwoche dieses Jahres ist Omikron die klar dominierende Variante des Coronavirus. Die neue Variante gilt als ansteckender, aber als im Krankheitsverlauf weniger gefährlich. Patienten zeigen mildere Symptome und müssen seltener intensivmedizinisch behandelt werden. Deshalb ist trotz drastisch steigender Corona-Neuinfektionen die Zahl an intensivmedizinisch zu behandelnden Patienten im Januar leicht gesunken. Dazu trägt auch bei, dass mehr Menschen durch Impfungen vor schweren Verläufen geschützt sind.

Die Erfahrungswerte reichen jedoch noch nicht aus, um von einem berechenbaren Risiko zu sprechen. Die Kapazitätsgrenzen des Gesundheitssystems bieten keinen großen Spielraum, insbesondere die Ressourcen in der Intensivmedizin sind beschränkt. Ärzte und Ärztinnen können sich nach wie vor in der dilemmatischen Triage‑Entscheidungssituation wiederfinden. In dem potentiell über Leben und Tod entscheidenden Ressourcenmangel müssen Ärzte und Ärztinnen unter erheblichem Zeitdruck festlegen, wie sie die vorhandenen medizinischen Ressourcen gerecht verteilen. Mit dieser Entscheidung werden sie seit Beginn der Pandemie weitestgehend allein gelassen. Bereits 2020 haben Tsambikakis & Partner darauf hingewiesen, dass Ärzten und Ärztinnen nicht die vollständige ethische Verantwortung aufgebürdet werden darf und der Gesetzgeber gefordert ist, Vorgaben für die Triage aufzustellen (Gaede/Kubiciel/Saliger/Tsambikakis, medstra 2020, 129). Ein Tätigwerden des Gesetzgebers forderte jüngst auch das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich Menschen mit Behinderungen, für die eine besondere Gefahr besteht, in der Gesundheitsversorgung strukturell benachteiligt zu werden (Beschluss v. 16.12.2021, Az. 1 BvR 1541/20, weiterführend dazu Tsambikakis in der neuen Ausgabe des ChefärzteBrief 02/2022).

Während sich der Gesetzgebungsprozess langsam in Gang setzt, sind Ärzte und Ärztinnen weiter zum Handeln gezwungen. Die klinisch-ethischen Empfehlungen der Fachgesellschaften enthalten grundsätzlich valide Entscheidungskriterien und ‑prozeduren, deren Beachtung straf- und zivilrechtliche Haftungsfolgen regelmäßig ausschließt. Das Krankenhauspersonal sollte daher nach diesen Maßgaben für die kritischen Situationen sensibilisiert werden. Wenn sich Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften widersprechen oder für die konkrete Situation überhaupt keine Handlungsempfehlungen gegeben sind, bietet das Kriterium der konkreten klinischen Erfolgsaussicht in der dilemmatischen Triage-Entscheidungssituation Orientierung. Hierbei werden die medizinische Dringlichkeit und die Rettungschance eines Patienten in die Entscheidung einbezogen. Allerdings verbieten sich schematische Entscheidungen, etwa durch Abschätzung der nach der Behandlung verbleibenden Lebensjahre. Um die Basisgleichheit aller Menschen zu verwirklichen und jedem das Recht auf gleiche Teilhabe an den Ressourcen des Gesundheitssystems zuzugestehen, darf nur die Aussicht, die aktuell vorliegende Erkrankung infolge der intensivmedizinischen Behandlung zu überleben, bewertet werden. Rechtssicher handelt, wer die Entscheidung mit einem gleichsam qualifizierten Kollegen nach dem Vier-Augen-Prinzip bespricht und die der Entscheidung zugrundeliegenden Erwägungen dokumentiert. Zusätzlich kann eine rechtliche Beratung vor und nach der Entscheidung Sicherheit bieten.


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Prof. Dr. Michael Tsambikakis Prof. Dr. Michael Tsambikakis