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Beschlagnahme von Daten – je mehr, desto besser?

   
22. November 2022

Die Polizei klingelt an der Tür, dem Bewohner wird ein kombinierter Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss ausgehändigt. Jetzt ist ihm klar, dass er Beschuldigter in einem Strafverfahren ist. Was ihm häufig nicht klar ist, wonach die Polizisten eigentlich suchen. Sehr gerne nehmen sie Laptops, externe Festplatten, USB-Sticks und andere Datenträger mit, denn darauf sind Daten mit potenzieller Beweisbedeutung gespeichert sein. Aber dürfen sie das?

1.  Keine pauschale Beschlagnahme

Der Gerichtsbeschluss ist häufig sehr vage formuliert, z. B.: „Es wird die Beschlagnahme von Daten in elektronischer Form, die sich auf Datenträgern jeglicher Art befinden, und Daten jeglicher Art, die auf Computersystemen gespeichert sind, angeordnet.“

Diese Anordnung ist unwirksam, weil gar kein konkretes Beweismittel benannt ist. Aber auch wenn der Beschluss die gesuchten Daten genauer bezeichnet, greift die Beschlagnahme sämtlicher Datenträger mehr als unbedingt erforderlich in die Grundrechte des Beschuldigten ein, ist also unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.

Die Strafverfolgungsbehörden dürfen eine umfassende Sicherung des gesamten verfügbaren Datenbestandes nicht pauschal damit begründen, dass nur auf diese Weise jede Information gewonnen und eine Löschung durch den Beschuldigten verhindert werde. Sie müssen umgekehrt begründen, warum eine partielle Sicherung nicht ausreichen würde.

2.  Durchsicht zur Eingrenzung der späteren Beschlagnahme

Ist diese Auswahl und damit Reduzierung der zu sichernden Daten aufgrund des Umfangs der Daten vor Ort nicht möglich und widerspricht der Betroffene der Durchsicht, ist eine richterliche Bestätigung zu einer vorläufigen Sicherstellung einzuholen. Die hierauf folgende Durchsicht dient der Feststellung, welche Daten im weiteren Fortgang überhaupt zu Beweiszwecken beschlagnahmt werden und welche mangels Beweiswertes wieder an den Inhaber herauszugeben sind.

Diese Durchsicht muss sich dabei auf das Auffinden solcher Beweismittel beziehen, die bereits im ursprünglichen Durchsuchungsbeschluss konkret benannt wurden. Insoweit ist die Durchsicht als Bestandteil der Durchsuchung anzusehen. (vgl. BVerfG Beschluss vom 20.09.2018 - 2 BvR 708/18). Die mit der Durchsicht befasste Person muss ohne das Erfordernis weiterer Instruktionen anhand des Durchsuchungsbeschlusses die Beweiserheblichkeit erkennen können. (AG Offenbach, Beschluss vom 25. Juni 2021 – 20 Gs 1300 Js 81663)

Ein Recht auf Anwesenheit während der Durchsicht ist nicht (mehr) gesetzlich normiert. Allerdings kann es von Verfassungswegen im Einzelfall zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten sein, die Inhaber bei der Prüfung der Verfahrenserheblichkeit der Daten mit einzubeziehen. (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009, Az. 2 BvR 902/06; LG Kiel, Beschluss vom 18. Juni 2021 – 3 Qs 14/21)

Eine zeitliche Begrenzung der vorläufigen Sicherstellung ist im Vorfeld nicht möglich. Die Unverhältnismäßigkeit derselben kann sich jedoch mit fortschreitendem Zeitablauf ergeben, sodass mit zunehmender Dauer ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 110 Abs. 1 StPO i.V.m. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO erfolgversprechender wird. (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – StB 21/21)

3.  Unterscheide und trenne!

Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundsatz aufgestellt, dass die Strafverfolgungsbehörden also nicht „vorsichtshalber“ einen kompletten Datenbestand beschlagnahmen dürfen, sondern eine Auswahl treffen müssen zwischen den für das Strafverfahren relevanten und irrelevanten Daten:

„Daten müssen nach ihrer potenziellen Verfahrenserheblichkeit unterschieden und getrennt werden. In Betracht kommt hierbei neben dem Erstellen einer (Teil-)Kopie hinsichtlich der verfahrenserheblichen Daten das Löschen oder die Herausgabe der für das Verfahren irrelevanten Daten. Die Datentrennung ist regelmäßig nicht mit einer Minderung des Beweiswerts verbunden, da die jeweilige Datei beim Kopiervorgang lediglich dupliziert wird.“ 

(Quelle: BVerfG, Beschluss vom 12.04.2005, Az. 2 BvR 1027/02).

Ermittler müssen bei der Durchsuchung die vorgefundenen Datenträger durchsehen und entscheiden, was davon gesichert werden soll. Idealerweise ist ein Verteidiger anwesend und überprüft die Auswahlentscheidung anhand der Angaben des Durchsuchungsbeschlusses. Geht es in dem konkreten Strafverfahren darum zu beweisen, dass sich auf einem Datenträger des Beschuldigten eine bestimmte Datei befindet, reicht es aus, genau diese Datei zu sichern und den Fundort zu dokumentieren. Gibt es hingegen konkrete Anhaltspunkte, dass gelöschte oder verschleierte Daten relevant sein werden, ist eine Kopie der Partition oder des gesamten Datenträgers erforderlich.

Werden im Rahmen der vorläufigen Sicherstellung, respektive der sich anschließenden Beschlagnahme Handys oder Computer sichergestellt, auf welche der Betroffene für die wirtschaftliche Lebensführung typischerweise angewiesen ist, steht ihm unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Entschädigung für die zeitweilige Vorenthaltung der Gebrauchsmöglichkeit zu.

Bei Fragen im Zusammenhang mit der Durchsuchung und Beschlagnahme, insbesondere von IT steht Ihnen unser IT-Strafrechtsteam zur Verfügung.


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