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Aktuelles Aktuelles Medizinstrafrecht   

Abrechnungsbetrug bei fachgerechter Leistungserbringung

   
16. Februar 2022

Das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 05.05.2021 – 2 BvR 2023/20, 2 BvR 2041/20) hat im letzten Jahr für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden, dass der Straftatbestand des Betrugs bei der Abrechnung von Behandlungsleistungen auch dann verwirklicht sein kann, wenn die abgerechnete Leistung medizinisch indiziert war und lege artis erbracht wurde. Wenn die Leistungserbringung unter Verstoß gegen eine sozialrechtliche Bestimmung erfolgt, so soll kein Vergütungsanspruch des Behandlers bestehen. In dem Fall, den das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte, wurden die abgerechneten Leistungen in einem MVZ erbracht, an dem sich sozialrechtswidrig ein Apotheker beteiligt hatte. In der Auszahlung der Vergütung soll dann ein Vermögensschaden der Kostenträger liegen.

Diese als streng formale Schadenslehre bezeichnete Ansicht des Bundesverfassungsgerichts wurde so bereits zuvor von den meisten Strafgerichten vertreten. Wir halten sie indessen weder für sachgerecht, noch für überzeugend: Durch die indizierte und lege artis erbrachte Behandlungsleistung wird der Kostenträger gegenüber dem Versicherten von seiner Leistungspflicht befreit. Ohne die Erbringung der abgerechneten Leistung hätte der Kostenträger anderweitig für die Behandlung sorgen müssen, wodurch ihm regelmäßig Kosten in gleicher Höhe entstanden wären – er steht damit wirtschaftlich nicht schlechter dar. Hinzukommt, dass bei medizinisch einwandfreier Leistungserbringung kein Bedürfnis nach der Anwendung des Strafrechts besteht. Sowohl das Sozial- als auch das Berufsrecht verfügen über genügend Instrumentarien, mit denen gegen sozialrechtliche Verstöße vorgegangen werden kann. Der Betrug ist jedoch ein Vermögensdelikt und dient – wie das Strafrecht insgesamt als „ultima ratio“ – nicht der Wahrung sozialrechtlicher Vorgaben.

Eine eingehende Analyse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben unsere Rechtsanwälte Dr. Karolina Kessler und Dr. Markus Gierok in MedR 2022, 27 veröffentlicht.


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