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Die zwangsweise biometrische Entsperrung

   
6. Oktober 2022

Smartphones und Tablets sind regelmäßig neben einem PIN oder Passwort auch über biometrische Verschlüsselungsmethoden (z.B. Face ID, Touch ID) gesichert. Gleichzeitig befinden sich auf den Geräten häufig viele für das Strafverfahren relevante Daten (u.a. E-Mails, Chats, Bilder, Kontakte), sodass für Ermittler ein großes Interesse besteht, auf die Geräte zuzugreifen. Die technische Entschlüsselung von Smartphones oder Tablets gestaltet sich für Ermittlungsbehörden allerdings sehr kosten- und zeitintensiv. Die einfachere und schnellere Möglichkeit, an die Daten zu kommen, besteht daher darin, dass für die Entsperrung notwendige Körperteil des Beschuldigten (Finger, Gesicht oder Auge) zwangsweise auf oder vor dem Scanner des Geräts zu platzieren und auf diese Weise die Entsperrung des Geräts zu bewirken und sich Zugang zu den Daten zu verschaffen. Das erfordert auch keine aktive Mitwirkung des Beschuldigten, sodass es nicht zu Friktionen mit dem nemo-tenetur-Grundsatz kommt. Die strafprozessuale Zulässigkeit eines solchen Vorgehens ist allerdings umstritten.

Taugliche Rechtsgrundlage: Meinungsstand in der Literatur

Zum Teil wird vertreten, dass sowohl die Entsperrung als auch der anschließende Datenzugriff durch die Regelung der erkennungsdienstlichen Behandlung gem. § 81b StPO gedeckt sind; teilweise wird zwischen diesen beiden Einzelmaßnahmen unterschieden und die Entsperrung auf § 81b StPO und die anschließende Datenerhebung auf die §§ 94ff., 100a, 100b und/ oder 110 StPO gestützt. Die Gegenansicht lehnt die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen de lege lata ab.

§ 81b StPO als Lösung des Problems?

Teile der Literatur stützen die zwangsweise Fixierung des für die biometrische Entsperrung erforderlichen Körperteils des Betroffenen auf die Vorschrift des § 81b StPO. Die Vorschrift bestimmt, dass Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen sowie ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden dürfen, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Manche Autoren fassen die biometrische Geräteentsperrung unter den Begriff der einer Messung „ähnlichen Maßnahme“, die der Durchführung des Strafverfahrens diene. Diese Auslegung mag mit dem Wortlaut der Vorschrift noch vereinbar sein. Sie widerspricht jedoch sowohl der systematischen Stellung als auch dem Regelungszweck des § 81b StPO.

Die in § 81b StPO ausdrücklich benannten Maßnahmen (Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken sowie Vornahme von Messungen), sind erkennbar darauf gerichtet, körperliche Eigenschaften des Betroffenen für die Zwecke des Strafverfahrens oder des Erkennungsdienstes zu dokumentieren. Diese Zwecksetzung muss auch der Auslegung des Auffangmerkmals der „ähnlichen Maßnahme“ zugrunde gelegt werden.

Davon geht auch der Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 34, 39 (44 f.)) aus, demzufolge die Vorschrift eine Grundlage ausschließlich für solche „Identifizierungsmöglichkeiten [darstellt], die – ohne daß es einer körperlichen Untersuchung im Sinne des § 81a Abs. 1 StPO bedarf – der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit dienen.“ Den Ermittlungsbehörden ist es danach gestattet, „das Aussehen, Körperteile und -merkmale sowie sonstige für die Individualität einer Person signifikante ‚dauerhafte Persönlichkeitsgegebenheiten‘ […] auch gegen seinen Willen zu fotografieren, vermessen oder in anderer Weise registrieren, um durch einen Vergleich mit bereits vorliegenden Erkenntnissen feststellen zu können, ob sie auf den Beschuldigten als Täter hindeuten.“

Die Fixierung eines Körperteils zur Entsperrung einer biometrischen Verschlüsselung ist demgegenüber eine grundlegend andersartige Maßnahme, die weder auf eine Feststellung körperlicher Merkmale noch auf die Identifizierung der betroffenen Person oder einen Vergleich mit bereits vorliegenden Erkenntnissen abzielt. Sie ist mit dem Zweck des § 81b StPO folglich nicht vereinbar und kann daher nicht auf diese Vorschrift gestützt werden. Ferner bedingt die spezifische Zwecksetzung, sich Zugang zu den auf dem Gerät gespeicherten, durch Verschlüsselung geschützten – und oftmals hoch sensiblen – personenbezogenen Daten zu verschaffen, eine Eingriffsintensität, die wesentlich über die in § 81b StPO beispielhaft genannten Maßnahmen hinausgeht.

Folge fehlender Rechtsgrundlage: Beweisverwertungsverbot

Weiterhin ist es unzulässig, § 81b StPO und §§ 94, 100a, 100b, 110 StPO als Eingriffsermächtigungen zu kombinieren, um eine Grundlage für eine neue Ermittlungsmaßnahme zu schaffen. Eine aus einzelnen Stufen bestehende Gesamtmaßnahme kann nur dann durch eine Kombination unterschiedlicher Ermächtigungsgrundlagen legitimiert werden, wenn sie die mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffe sowohl ihrer Art als auch ihrer Intensität nach vollständig decken. Die zwangsweise Entsperrung von Endgeräten mittels biometrischer Merkmale stellt ein Zusammenwirken von Einzelmaßnahmen dar, deren Eingriffstiefe erhöhte Rechtsfertigungsanforderungen erzeugt, die die Legitimationswirkung der kombinierten Einzelbefugnisse nicht decken kann.

Für die Praxis bedeutet das, dass die zwangsweise biometrische Entsperrung mangels Rechtsgrundlage derzeit als willkürliche Umgehung des Vorbehalts des Gesetzes anzusehen ist, welche im Strafverfahren zu einem Verbot der Verwertung der vom Endgerät kopierten Daten führen muss.


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 Diana Nadeborn Diana Nadeborn