+49 221 33 77 23-0
Aktuelles Aktuelles IT-Strafrecht   

Durchsicht von im Ausland gespeicherten Daten

   
17. September 2024

Gehen deutsche Ermittlungsbehörden über digitale Grenzen? – Rechtmäßigkeit der Durchsicht von im Ausland gespeicherten Daten gem. § 110 Abs. 3 StPO

Ermittlungsbehörden können über das Internet im Hoheitsbereich anderer Staaten tätig werden. Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren darf die deutsche Staatsanwaltschaft gem. § 110 Abs. 3 StPO vom Durchsuchungsort auf räumlich getrennte Speichermedien zugreifen. In der Praxis zählen zum Beispiel internetbasierte Cloud-Services und soziale Netzwerke zu den räumlich getrennten Speichermedien. Doch dürfen sie dabei auch die im Internet unsichtbaren staatlichen Grenzen überschreiten und auf Speichermedien in anderen Staaten zugreifen? Umstritten ist, ob für einen Zugriff über das Internet der Handlungsort im Inland oder der Erfolgsort im Ausland maßgeblich ist.

Was besagt das Territorialitätsprinzip?

Die Interaktionen zwischen Staaten richten sich nach völkerrechtlichen Verträgen und Völkergewohnheitsrecht. Das Territorialitätsprinzip besagt, dass das Recht eines Staates nur auf seinem Staatsgebiet Geltung beansprucht. Damit einhergehend verpflichtet der Souveränitätsgrundsatz Staaten andere Staaten und die Geltung ihrer Rechtsordnung auf ihrem Staatsgebiet als gleichwertig zu respektieren. Dieses Völkergewohnheitsrecht ist gem. Art. 25 GG auch in Deutschland geltendes Recht und bindet jegliches staatliches Handeln.

Ist die Sichtung von in anderen Staaten gespeicherten Daten ein Eingriff in deren Souveränität?

§ 110 Abs. 3 StPO erlaubt Ermittlungsbehörden die Durchsicht von räumlich getrennten Speichermedien. Ob die Durchsicht von Speichermedien, die sich nicht auf deutschem Staatsgebiet befinden, erlaubt ist, steht nicht in der Norm selbst. Das Fehlen einer Begrenzung im Wortlaut zog das Landgericht Koblenz in einem Beschluss vom 24.8.2021 (Az. 4 Qs 59/21) als Argument für die Legitimierung einer grenzübergreifenden Durchsicht von Speichermedien heran. Überzeugender ist jedoch, dass Begrenzungen auf das eigene Staatsgebiet im Wortlaut einzelner Ermittlungsmaßnahmen überflüssig sind. Die gesamte StPO enthält keine solch expliziten Beschränkungen und benötigt sie auch nicht. Dem Territorialitätsprinzip entsprechend kann eine nationale Norm nie den Eingriff in die Souveränität anderer Staaten legitimieren.

Ob und wie in die Souveränität anderer Staaten eingegriffen werden kann, ist vielmehr Gegenstand völkerrechtlicher Verträge und grundsätzlich an Rechtshilfeersuchen gebunden. Für Ermittlungsmaßnahmen über das Internet gilt unter anderem die Cybercrime-Konvention für Deutschland und 64 andere Unterzeichner-Staaten. Gemäß Artikel 32 der Konvention muss nur dann kein Rechtshilfeersuchen für den Zugriff auf in anderen Vertragsparteien gespeicherten Daten gestellt werden, wenn die Daten öffentlich zugänglich sind oder die berechtigte Person den Zugriff freiwillig gestattet.

Daneben wird vertreten, dass Ermittlungsbehörden die Daten von deutschem Hoheitsgebiet aus sichten und deshalb nicht in die Souveränität anderer Staaten eingreifen. Ein Argument gegen diese Auffassung findet sich in § 9 StGB. Dort ist geregelt, dass der Ort einer Tat nicht nur dort ist, wo der Täter gehandelt hat, sondern auch dort, wo der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist.

Knackpunkt: Standort der Daten

Ist der Standort des Speichermediums bekannt, müssen deutsche Ermittlungsbehörden den jeweiligen Staat dieses Speicherortes um Rechtshilfe ersuchen. Problematisch wird es aber, wenn der Standort entweder ständig wechselt oder gar nicht erst feststellbar ist. Dies ist nicht selten. In solchen Fällen wäre die Durchsicht von in anderen Staaten gespeicherten Daten keine willkürliche Umgehung des Territorialitätsprinzips, sodass ein Rechtshilfeersuchen nicht notwendig ist. Dies entbindet Ermittlungsbehörden jedoch nicht von der Pflicht, ernsthafte Bemühungen, den Standort ausfindig zu machen, anzustellen und diese auch zu dokumentieren.

Beweisverwertungsverbot wegen des Verstoßes gegen das Territorialitätsprinzip

Mit der Frage, welche Folgen das Fehlen eines Rechtshilfeersuchens für im Ausland gewonnene Beweise für ein Strafverfahren hat, befasste sich der BGH in einem Urteil vom 08.04.1987 (Az. 3 StR 11/87). In dem zugrunde liegenden Sachverhalt gelangten deutsche Polizeibehörden ohne Rechtshilfeersuchen an eine niederländische Polizeiakte. Eine offizielle Genehmigung der niederländischen Stellen blieb aus. Im Ergebnis sah der BGH ein völkerrechtliches Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Akte. Erlangt eine Ermittlungsbehörde durch einen Eingriff in die Souveränitätsrechte eines anderen Staates Beweismittel, unterliegen diese einem Beweisverwertungsverbot, wenn der andere Staat keine Genehmigung erteilt.

Fazit

Deutsche Ermittlungsbehörden müssen grundsätzlich zur Sichtung von im Ausland gespeicherten Daten ein Rechtshilfeersuchen stellen. Wenn sich die Lokalisierung des Speicherortes wie häufig schwierig gestaltet, kann ein Rechtshilfeersuchen entbehrlich sein. Selbst wenn der Standort festgestellt werden kann, wird ein Beweisverwertungsverbot nur angenommen, wenn auch im Nachhinein eine Genehmigung des anderen Staates ausbleibt. Im Ergebnis sind im Ausland gespeicherte Daten dem staatlichen Zugriff im Zuge von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht entzogen.

Am 17.07.2024 legte das BMJ einen Referentenentwurf für das "E-Evidence-Gesetz" vor. Damit sollen die Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Erhebung elektronischer Beweismittel innerhalb der EU geschaffen werden.

 

 


Kontaktieren Sie uns:

 Diana Nadeborn Diana Nadeborn