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Aktuelles Aktuelles IT-Strafrecht   

Anlasslose Speicherung von IP-Adressen ist zulässig

   
14. Mai 2024

Neues Grundsatzurteil: Anlasslose Speicherung von IP-Adressen ist zulässig

Der EuGH hat am 30.04.2024 nicht nur über die Verwertbarkeit von EncroChat-Daten (C-670/22), sondern auch über die Anforderung an die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen (C-470/21) entschieden. Eine gesetzliche Pflicht für Provider, allgemein und unterschiedslos IP-Adressen auf Vorrat zu speichern, ist danach zulässig.

Erforderlich sei, dass die nationale Regelung Speichermodalitäten vorschreibt, die eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten gewährleistet und es damit ausschließt, dass genaue Schlüsse auf das Privatleben der betreffenden Person gezogen werden können. Die Erhebung sei auch zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing zulässig. Die Identifizierung von Internetnutzern wird damit insgesamt erleichtert.

Neue Linie des EuGH zur Speicherung von IP-Adressen

Der EuGH gibt die Beschränkung der Abfrage von IP-Adressen auf Fälle schwerer Kriminalität auf. Es dürfe keine „systemische Straflosigkeit“ entstehen. Damit werde gebührend berücksichtigt, dass bei online begangenen Straftaten der Zugang zu IP-Adressen die einzige Ermittlungsmaßnahme darstellen kann, die eine effektive Identifizierung der Person ermöglicht, der diese Adresse zugewiesen war, als die Tat begangen wurde

Der Zugriff auf IP-Adressen wird nicht mehr als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Mit der IP-Adresse werde kein Persönlichkeitsprofil erstellt, wenn die IP-Adresse nicht mit anderen Daten kombiniert wird.

Voraussetzung ist, dass die Provider die verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten wie Identitätsdaten, IP-Adressen sowie Verkehrs- und Standortdaten separat speichern. Mitarbeiter des Providers dürfen Daten und Informationen ausschließlich zur Anrufung der Staatsanwaltschaft offenlegen. Sie dürfen die IP-Adresse ausschließlich zur Identifizierung der Nutzer und nicht zu anderen Zwecken nutzen. Sie dürfen die unter der zugewiesenen IP-Adresse besuchten Internetseiten nicht nachverfolgen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, genügt die behördliche Anordnung und ist keine zusätzliche gerichtliche Überprüfung erforderlich. Eine automatisierte Verarbeitung ist jedoch unzulässig.

Bisherige Linie des EuGH zur Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten

Zuletzt hatte der EuGH am 20.09.2022 (C-739/19) seine bis dahin geltende Rechtsprechung bestätigt, das Unionsrecht stehe einer allgemeinen und unterschiedslosen Speicherpflicht entgegen. Die im deutschen TKG vorgesehene Speicherpflicht (§§ 113a, 113b TKG a.F., heute §§ 175, 176 TKG) erstrecke sich auf einen solch umfangreichen Satz von Verkehrs- und Standortdaten, dass insbesondere die Gesamtheit dieser Daten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben zulassen und sogar die Erstellung eines Profils des Betroffenen ermöglichen würden.

Das TKG umfasste die Speicherung folgender Daten:

  • Absender und Empfänger einer Nachricht,
  • Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht
  • Beginn und Ende der mobilen Verbindung,
  • Funkzelle, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden,
  • IP-Adresse,
  • Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse,
  • Funkzelle, die bei Beginn der Internetverbindung genutzt wurde.

Das führe zu einem unverhältnismäßigen und damit unzulässigen Eingriff in die sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergebenden Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7), auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8) und auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (Art. 11). Zugleich betonte er dort, zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dürften Verkehrs- und Standortdaten mit gewissen Einschränkungen und verfahrenssichernden Maßnahmen erhoben und gespeichert werden.

Ist Quick Freeze vom Tisch?

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hatte bisher betont, die Streichung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung sei im Koalitionsvertrag vereinbart, und die Einführung des Quick Freeze Verfahrens befürwortet. Danach dürfen Verkehrs- und Standortdaten anlassbezogen nach entsprechender behördlicher Anordnung, die einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt, für einen festgelegten Zeitraum umgehend gespeichert werden. Die Daten dürfen nach einem weiteren behördlichen Antrag und korrespondierendem gerichtlichen Beschluss ausgewertet werden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte hingegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller IP-Adressen gefordert.

Fazit

Die umfassende Speicherpflicht bezüglich aller Verkehrs- und Standortdaten nach der aktuellen Fassung der §§ 175, 176 TKG wird weiterhin nicht umgesetzt. Der Weg für die Neuregelung einer Speicherpflicht bezüglich IP-Adressen ist nach dem Grundsatzurteil des EuGH frei. Damit kann es zukünftig in Deutschland eine anlasslose Speicherung durch Provider geben. Anlassbezogen bliebe hingegen die Abfrage der IP-Adresse durch die Strafverfolgungsbehörden.


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 Diana Nadeborn Diana Nadeborn