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Aktuelles Aktuelles Medizinstrafrecht   

Neuer Ansatz zur Regelung der Triage im IfSG

   
20. September 2022

Die Frage nach der gesetzlichen Regelung der Triage ist bislang ungeklärt geblieben. Noch im Mai hatte das Bundesministerium für Gesundheit einen ersten Entwurf zurückgezogen. Nun enthält der „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes“ seitens der Bundesregierung einen überarbeiteten Reformvorschlag.

Der aufgeworfene Konflikt hat sich nicht verändert: Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 (1 BvR 1541/20) ist der Gesetzgeber ausdrücklich aufgefordert, einen Rechtsrahmen zum diskriminierungsfreien Vorgehen in Triage-Situationen zu schaffen. Es sei nämlich, so das Gericht, die Benachteiligung behinderter Menschen zu befürchten. Eine simple Verrechnung der besseren Überlebenschancen im Fall medizinischer Ressourcenknappheit führe zu einer begünstigten Position nicht-behinderter Menschen bei der Zuteilungsentscheidung.

Kernstück des neuen Entwurfs ist ein neuer § 5c im Infektionsschutzgesetz. Der Absatz 2 erklärt den neuen Regelfall: „Eine Zuteilungsentscheidung darf nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden.“ Sämtliche weiteren Merkmale, soweit sie die Individualität der Patienten betreffen, sind also bei einer Zuteilungsentscheidung auszuklammern. Absatz 1 nennt dazu, nicht abschließend, das Verbot der Diskriminierung wegen „einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung.“ Daneben regeln die Absätze 3-5, wer eine Zuteilungsentscheidung vornehmen darf (Fachärzte mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der Intensivmedizin) und welche Verfahrens- und Dokumentationsregeln dabei zu beachten sind.

Praktisch bleibt indessen unklar, inwieweit die Vorgabe geeignet sind, eine Gleichstellung bei der Zuteilungsentscheidung zu begründen. Denn auch die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ kann von der grundsätzlichen Konstitution des Patienten erheblich abhängen. Wer beispielsweise an Vorerkrankungen leidet, kann auch in der konkreten Entscheidungssituation schlechtere Überlebensaussichten genießen als ein „kerngesunder“ Patient. Dies kann aber wiederum in der konkreten Situation hinzunehmen sein.

Schließlich wirft die Begründung des Referentenentwurfs insoweit Fragen auf, als eine Änderung der Strafrechtslage ausdrücklich nicht beabsichtigt ist. Diese Facette des Reformvorschlags erschöpft sich in einer Behauptung. Zwar liegt auch zukünftig bei Eintreffen mehrerer Patienten eine Pflichtenkollision vor. Aber der neue § 5c des Infektionsschutzgesetzes berührt inhaltlich ausdrücklich die Gleichwertigkeit der Pflichten, indem er zugunsten bestimmter Patientengruppen korrigierend eingreift. Hier ist die Entstehung neuer Strafbarkeitsrisiken zumindest nicht ausgeschlossen.

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Dr. Karolina Kessler Dr. Karolina Kessler