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Herausgabeverlangen nach Software, § 95 Abs.1 StPO

   
14. März 2023

Im Zeitalter der Digitalisierung sind Aktenschränke in Unternehmen zunehmend leerer, Datenspeicher zunehmend voller. Im Rahmen von Durchsuchungen sparen sich Strafverfolgungsbehörden daher nun zwar häufig das Tragen von Kisten voller Unterlagen, weil sich Daten schneller und leichter transportieren lassen. Nachteile können sich jedoch bei der Auswertung ergeben: Nicht selten nutzen Unternehmen zur Datenverarbeitung spezielle, kostenpflichtige Software. Ohne diese Software können die Daten nicht ausgewertet werden. In der Praxis wenden sich Ermittler daher häufig im Rahmen eines Herausgabeverlangens nach § 95 Abs. 1 StPO an Unternehmen oder Softwarehersteller und verlangen die relevante Software – teilweise sogar auf Kosten des Betroffenen – heraus.

1.   Beschluss des LG Trier Beschl. v. 16.10.2003 – 5 Qs 133/03

Die Frage, ob Ermittlungsbehörden Computerprogramme herausverlangen und sicherstellen dürfen, hat in der Rechtsprechung bisher nur das LG Trier diskutiert. Im Rahmen einer Durchsuchung sicherten Ermittlungsbeamte auf einem Computerserver gespeicherten Daten. Diese konnte der EDV-Spezialist der Ermittlungsbehörde nicht auswerten, weil die verwendete Software nur serverunterstützt funktionierte. Auch das Umprogrammieren auf eine Einzelplatzversion war nicht möglich. Die Ermittler wandten sich an den Vertreiber der Software, um eine Einzelplatzversion der Software zu erwerben. Weil der Vertreiber das verweigerte, kam es zur Beschlagnahme. Das LG Trier bestätigte das mit der Begründung, dass es sich bei der Einzelplatzversion um ein Beweismittel iSd § 94 Abs. 1 StPO handle. Der Zusammenhang zu den den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten bestehe darin, dass die von den Beschuldigten genutzte Software und die gespeicherten Daten ausschließlich mit der Programmversion des Vertreibers lesbar gemacht werden könnten. Auch einem solchen bloßen Hilfsmittel könne mittelbare Beweisbedeutung zukommen, wenn ein enger innerer Zusammenhang zwischen dem Programm und den Daten dergestalt bestehe, dass es ohne das Programm praktisch ausgeschlossen wäre, die Daten aufzubereiten und auszuwerten. Das sei insb. bei sog. Schlüsselprogrammen zu bejahen, die der Codierung von Daten dienten. Um ein solches Schlüsselprogramm handele es sich zwar nicht, doch habe der Vertreiber des Programms durch die Weigerung, das Programm zu verkaufen, eine Lage geschaffen, welche der beschriebenen gleichkomme.

Die Literatur legt den Beschluss überwiegend ohne jegliche Differenzierung dahingehend aus, dass in Fällen, in denen Daten nur unter Zuhilfenahme bestimmter technischer Hilfsmittel lesbar sind, diese Hilfsmittel generell auch nach § 95 Abs. 1 StPO herausverlangt werden dürfen.

2.   Verstoß gegen den Wortlaut der Norm: Software als (bloßes) technisches Hilfsmittel

Die §§ 94, 95 StPO knüpfen an den Begriff des Beweismittels an. Beweismittel sind alle Gegenstände, die unmittelbar oder mittelbar für die den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildende Tat, die Umstände ihrer Begehung oder die Person des Täters potentiell Beweis erbringen können. Sie sind abzugrenzen von sog. technischen Hilfsmitteln, die dazu dienen, Beweisgegenstände nutzbar zu machen und die Ermittlungsbehörden dabei zu unterstützen, unmittelbar beweisrelevante Beschlagnahmeobjekte zu sichten und auszuwerten.

Hinsichtlich der Einordnung von Software in die dargestellten Kategorien ist zu differenzieren: In Fällen, in denen die Funktionsweise der Software oder ihre Einstellungen für den Tathergang von Bedeutung sind, ist die Software eigenständiges Beweismittel. Das ist zB der Fall, wenn der Beschuldigte die Grundeinstellung einer Abrechnungssoftware modifiziert hat, um auf diese Weise falsch abrechnen zu können. Hier dient die Software nicht lediglich als Hilfsmittel, um Daten zu öffnen, sondern ist Tatmittel selbst, sodass sie eigenen Beweischarakter besitzt und daher als Beweismittel zu qualifizieren ist. Dient die Software hingegen lediglich dazu, Daten sichtbar oder lesbar zu machen und hat sie an sich keinen Bezug zur Tathandlung, hat sie keine eigene Beweisbedeutung und ist folglich lediglich als technisches Hilfsmittel einzuordnen.

Die §§ 94, Abs. 1, 95 Abs. 1 StPO stellen in ihrer derzeitigen Fassung keine taugliche Rechtsgrundlage für die Sicherstellung/Beschlagnahme bzw. das Herausgabeverlangen von technischen Hilfsmitteln dar.

3.   Herausgabepflicht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sachgerecht

Dennoch wäre es sachgerecht und verhältnismäßig, Ermittlungsbehörden einen solchen Zugriff jedenfalls auf ein technisches Hilfsmittel, insb. Software, zu erlauben, das beim Adressaten der Maßnahme bereits vorhanden ist und ohne größeren wirtschaftlichen oder sonstigen Aufwand herausgegeben werden kann. Im Rahmen der Abwägung der sich entgegenstehenden Interessen überwiegt mangels finanzieller und sonstiger Belastung des Unternehmens in diesem Fall das Bedürfnis der Strafverfolgungsbehörden, mithilfe der Software an Daten als Beweismittel zu gelangen. Es ist kein Grund ersichtlich, die Behörden in diesem Fall darauf zu verweisen, die Software kostenpflichtig zu erwerben und dem Staat damit einen (unter Umständen sehr hohen) finanziellen Aufwand für eine Software aufzubürden, soweit er sie nicht wiederverwenden kann – und dass, obwohl eine Herausgabe ohne Belastung des Adressaten der Maßnahme möglich gewesen wäre.

4.   Absolute Grenze: Beschaffungspflicht

Die Grenze der Mitwirkungspflicht ist jedoch in einer Beschaffungspflicht des Adressaten der Maßnahme zu sehen. Hierfür spricht, dass sich wie bei § 103 Abs. 1 StPO auch im Rahmen des § 95 Abs. 1 StPO bereits aus dem Wortlaut ergibt, dass das Herausgabeverlangen den Gewahrsam des von der Maßnahme Betroffenen an dem Gegenstand voraussetzt: „Wer [den] Gegenstand (…) in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, ihn auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern.“. Auch im Rahmen des Herausgabeverlangens haben die Ermittlungsbehörden damit lediglich Zugriff auf solche Gegenstände, die der Adressat der Maßnahme im Gewahrsam hat. Vor diesem Hintergrund können Ermittlungsbehörden – unabhängig von der Frage, ob der betroffene Gegenstand ein Beweismittel darstellt oder nicht – in jedem Fall nur solche Gegenstände suchen oder herausverlangen (und anschließend sicherstellen), die schon „da“ sind und dem jeweiligen Adressaten der Maßnahme vorliegen, nicht aber solche, die erst noch erschaffen oder beschafft werden müssten. Daneben beschränkt sich auch die Pflicht des Zeugen nur auf das, was bereits vorhanden ist – nämlich seine Wahrnehmung über Tatsachen. Auch für Zeugen besteht keine Erschaffungs- oder Beschaffungspflicht. Schließlich ist Strafverfolgung eine hoheitliche Aufgabe. Folglich muss der Staat die für die Erfüllung dieser Aufgabe erforderlichen personellen und sachlichen Mittel bereitstellen und hierfür auch den finanziellen Aufwand tragen. Er kann die Kosten einzelner Ermittlungsmaßnahmen – und damit letztlich der Strafverfolgung – nicht auf private Dritte abwälzen.

5.   Fazit

Die Entscheidung des LG Trier ist zwar im Ergebnis zustimmungswürdig, jedoch existiert für die Maßnahme derzeit keine taugliche Rechtsgrundlage. Die Beschlagnahme eines beim Hersteller (oder Unternehmen als Dritten) vorhandenen Computerprogramms sollte den Ermittlungsbehörden jedoch möglich sein, zumal die Ermittlungsbehörde in diesem Fall sogar zunächst versuchte, die Software käuflich zu erwerben – und damit jedenfalls nach hier vertretener Ansicht sogar überobligatorisch handelte. Die Begründung des Gerichts, es handle sich bei Computerprogrammen um technische Hilfsmittel, kann allerdings nicht überzeugen und ist damit abzulehnen. In ihrer derzeitigen Fassung stellen die §§ 94 Abs. 1, 95 Abs. 1 StPO keine taugliche Gesetzesgrundlage dar, um technische Hilfsmittel wie Software zu beschlagnahmen oder herauszuverlangen. Eine Beschaffungspflicht des von der Maßnahme Betroffenen kann dargelegten systematischen Gründen auch zukünftig nicht geben. Eine gesetzliche Erweiterung der §§ 94 Abs. 1, 95 Abs. 1 StPO auf eine Beschlagnahme oder Herausgabepflicht hinsichtlich vorhandener technischer Hilfsmittel erscheint hingegen sachgerecht und verhältnismäßig.

Zur weiteren Information empfehlen wir den Beitrag von RAin Diana Nadeborn und RAin Dr. Theresa Friedrich L.L.M. in NZWiSt 2/2023, S. 48 ff.


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